Von der Messung ("Diagnose") zur Vorhersage ("Prognose")
des Pollen- (und Sporen-)flugs in Deutschland
Pollenfluginformationen (-berichte, -reporte, -warnungen, -vorhersagen) für Deutschland gibt es inzwischen zuhauf im Internet und in den Printmedien. In der Regel sind es ausschließlich Vorhersagen (Prognosen) für den Pollen-allergiker.
Als Grundlage dafür muss der Pollenflug zunächst aktuell gemessen werden; erst auf der Basis aktueller Pollendaten - und Wetterdaten! - kann eine Pollenflugvorhersage für das klimatisch einheitliche Gebiet erstellt werden, in dem die Messstelle liegt. Hilfreich ist auch das Wissen um den aktuellen Entwicklungszustand der Pflanzen (phänologische Daten)Nur so kann abgeklärt werden, ob die gefangenen Pollen aus der Region stammen oder von weit her aus klimatisch und damit phänologisch vorauseilenden Gebieten stammen - also Ferntransport von Pollen vorliegt.
Stör- und Nutzfaktor Ferntransport
Der Wind kann unter günstigen Bedingungen (Thermik, hinreichende Windgeschwindigkeit) Pollen und auch Sporen - über weite Strecken transportieren. Daher ist das Wissen um den Pollen- und Sporenflug an möglichst vielen Messstellen hilfreich - vor allem von Messstellen, aus deren Richtung im konkreten Fall der Wind gekommen ist. Liegen diese Messstellen dann auch noch in klimatisch günstigeren Gebieten, können ferntransportierte Pollen darauf hinweisen, dass die jeweiligen Pollenquellen auch im Mess- bzw. Vorhersagegebiet bald aktiv werden und damit weit größere Pollenmengen zu erwarten sind. So haben für das Vorhersagegebiet Weser- Ems die Messergebnisse aus den Niederlanden, aus NRW(rheinnahe Messstellem) und erst recht aus dem Oberrheingraben häufig den Wert einer Vorwarnung.
Ob die festgestellten Pollen aus der Ferne herangeweht wurden, ist z.B. dann offenkundig, wenn im Messgebiet die jeweilige Pollenquelle(Bäume, Sträucher, Gräser u.a. Kräuter) noch nicht aktiv ist. Dazu sind also auch phänologische Beobachtungen (der Blühphasen) erforderlich.
Die Krux: der Mangel an Mengen-Repräsentanz
Messungen mit den gängigen stationären Pollenfallen stellen Punktmessungen dar und sind in quantitativer Hinsicht daher streng genommen nur für diesen Messpunkt repräsentativ. Zudem ändert sich der "Einzugsbereich" der Pollenfalle mit Windgeschwindigkeit und Windrichtung. Auch die Sonneneinstrahlung und darauf beruhendeThermik im "Einzugsbereich" beeinflussen dessen aktuelle Ausdehnung. Da die Pollenquellen i.d.R. inhomogen, also ungleich verteilt sind, ändern sich mit dem "Einzugsbereich" auch die registrierten Pollenmengen. Damit ist klar: die Messwerte lassen sich grundsätzlich nicht 1:1 auf andere Orte in der zugehörigen Klima-Region übertragen.
Durch den Betrieb "benachbarter" Messstellen im Umkreis von (angenommen) 5-50 km lässt sich die mit einer einzelnen Punktmessung verbundene Unsicherheit für eine quantitative Pollenflugvorhersage verringern. Bislang gibt es nur wenige Regionen mit entsprechender Messstellendichte (Weser-Ems, Berlin, Ruhrgebiet). Notfalls lassen sich auch weiter entfernte Messstellen für einen Abgleich heranziehen, sofern sie im gleichen Klimaraum (z.B. Oberrheingraben) liegen.
Je mehr Messstellen in einer Region für die Mittelung der gemessenen Tages(mittel) werte herangezogen werden, um so besser im Sinne einer regionalen Repräsentanz.
Das aktuelle Messstellennetz
Aktuelle Pollendaten werden bundesweit an über 40 Messstellen erhoben (s. Karte und Liste) Die meisten davon werden als Teil eines bundesdeutschen Messstellennetzes von der Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst (PID) mit Sitz in Berlin verwaltet und betreut (Aufwandsentachädigungen, Fortbildungen etc.) Zehn davon, die sogenannten Referenz-Messstellen (von Süd nach Nord: Freiburg, München, Fulda, Dresden, Mönchengladbach, Bad Lippspringe, Hannover, Berlin Charite, Rostock sowie bis Ende 2017 meine Messstelle Delmenhorst) messen ganzjährig und erfassen das gesamte Pollenspektrum der Luft. -> mehr
Wer bekommt die PID-Daten?
Die PID-Messwerte werden an den Deutschen Wetterdienst (DWD) weitergegeben und inzwischen auch in einer PID-eigenen Datenbank abgelegt. Der DWD nutzt diese Daten zusammen mit den Wetterdaten und den Daten aus seinem phänologischen Sofortmelde-Beobachtungsnetz für 27 regionale Pollenflugvorhersagen (seit 2006 auch im Internet in kartographischer Gestalt) jeweils für "heute", "morgen" und "übermorgen". Aktuelle Meldungen aus dem DWD-eigenen phänologischen Netz zur Beoachtung der Pflanzenentwicklung (hier: des Blühbeginns, der allgmeinen Blüte und des Blühendes) lassen erkennen, ob die Pollenquellen "vor Ort" schon aktiv sind.
In der Prognose des DWD berücksichtigt werden nur die allergologisch wichtigsten Pollentypen (Hasel, Erle, Esche, Birke, Gräser, Roggen, Beifuß und seit 2006 auch das Traubenkraut = Ambrosia). Die Vorhersagen werden nahezu täglich aktualisiert und über verschiedene Medien (vor allem über das Internet) weitergegeben.
Ab welchen Konzentrationen wird es kritisch? - Das Schwellenwert-Problem
Als grobe Richtschnur für die Abschätzung der eigenen "Belastungsrisiken" galten bislang die sog. Schwellenwerte. Sie markieren die Grenze zwischen schwacher, mäßiger und starker Belastung. Ob der einzelne Pollinotiker schon bei schwacher oder erst bei starker Belastung bzw. Pollenkonzentration Symptome spürt, ist individuell unterschiedlich und hängt zudem von der Tagesform und weiteren Begleitumständen (z.B. zeitweiser Aufenthalt in geschlossen, pollenarmen Räumen) ab. Hinzu kommt, dass die üblicherweise erhobenen Messwerte Tagesmittelwerte sind, also nichts über die meist tagsüber auftretenden Spitzenwerte aussagen! Die österreichischen Aeropalynologen werten die Luftstaubproben deshalb im Hinblick auf Zweistunden-Mittelwerte aus. Das ändert aber nichts an dem Problem der individuell unterschiedlichen Reaktion auf konkrete Pollenkonzentrationen. Aus diesem Grund werden künftig in meine Diagramme keine Schwellenwerte mehr in die Jahresgangkurven der diversen Pollen- und Sporentypen eingearbeitet.Ich möchte auf diese Weise ungerechtfertigten "Schlussfolgerungen" von punktuell erhobenen Messwerten auf den eigenen Sensibilisierungsgrad vorbeugen. Die Messwerte werden im übrigen in den meisten meiner Diagramme zudem übergreifend gemittelt, was die Kurven glättet und damit augenfreundlicher macht; extrem hohe oder niedrige Messwerte werden auf diese Weise grafisch "heruntergebügelt" bzw. dem Konzentrationsniveau der angrenzenden Tage angeglichen. Nur für meine Weser-Ems-Messstellen stelle ich daneben auch die Tagesmittelwerte ohne übergreifende Mittelung dar, um die tatsächlichen Schwankungen von Tag zu Tag sichtbar zu machen.
Endziel: personalisierte Belastungsvorhersage!
Einen Ausweg aus dem Schwellenwertdilemma sucht man inzwischen mit Hilfe eines sog. online-Pollentagebuchs . Man kann es sich von der website des PID (www.pollenstiftung.de/ Pollentagebuch)
und der website des österreichischen Pollenwarndienstes
https://www.pollenwarndienst.at/allergie/pollentagebuch.html
herunterladen.
In dieses online-Tagebuch trägt der Betroffene seinen jeweiligen Aufenthaltsort sowie Art und Stärke seiner Symptome ein und bekommt u.a. eine aktuelle personalisierte Beschwerdenrisikovorhersage. Man erhofft sich durch die Auswertung der Pollentagebücher auch Bestätigungs- oder Korrekturhinweise für die o.g. Schwellenwerte.
Wer wissen will, mit welchen Pollenkonzentrationen er tatsächlich konfrontiert wurde, wird sich in wenigen Jahren mit einem sog. Pollator Klarheit verschaffen können (nicht zu verwechseln mit Pollinator:dabei handelt es sich hier nicht um einen Apparat, mit dem drogenaffine Menschen Harz aus Pflanzenmaterial gewinnen können - oder um Tiere, die als Bestäuber von Blütenpflanzen auftreten!). Der Pollator ist eine müsliriegelgroße "Mini-Pollenfalle" - , die man in Kopfnähe an der Kleidung befestigt oder an ein Halsband hängt. Dieser batteriebetriebene "persönliche Pollensammler" saugt wie der "große Bruder" (an den stationären Messtellen) Luft an und lenkt sie gegen einen Klebefilm; letzterer kann entnommen und zur Analyse an ein Labor geschickt werden.
Geeignet für Rückschau und langfristige Vorplanung: Pollenflugkalender
Am Ende jeder Pollenflugsaison liegen saisonale Pollenflugkalender vor, im besten Fall Kurvendiagramme, die anschaulich den Verlauf des jeweiligen Pollenflugs wiedergeben. Mit Ihrer Hilfe lässt sich die ärztlichen Diagnose zusätzlich absichern - natürlich auch schon während der Saison anhand des sich aktuell aufbauenden Flugkalenders. Um wetterbedingte Schwankungen der gemessenen Pollenkonzentration zu glätten, werden die Basisdaten (= Tagesmittelwerte) übergreifend (= gleitend) gemittelt. Ich bevorzuge übergreifende Nonadenmittel. Das bedeutet, dass jedem Tag ein Mittel aus neun Tageswerten zugeordnet wird. In diese Mittelung gehen der Wert für den betrachteten Tag, die vier Tageswerte davor und die vier danach ein.
Werden die Messwerte einer Station über viele Jahre gemittelt, so lassen sich daraus langjährige Pollenflugkalender erstellen. Sie stellen eine wertvolle Grundlage für die langfristige Urlaubsplanung in Deutschland dar: sie beschreiben den zeitlichen Rahmen , in dem sich der Pollenflug im Bereich einer oder mehrerer Messstellen bewegen kann; sie machen auch die "heiße" Phase mit den im langjährigen Mittel höchsten Konzentrationen deutlich. In meinem Informationsangebot nehmen langjährige Pollenflugkalender für Einzelmessstellen und klimatisch definierte Messstellengruppen ein besondere Rolle ein, zumal sich vor diesem Hintergrund auch der aktuelle Pollenflug bewerten lässt.
Der PID hat Anfang 2008 fünf Pollenflugkalender in Gestalt von Balkendiagrammen veröffentlicht: einen für Gesamtdeutschland und weitere für vier deutsche Großregionen (Nord-, West-, Süd- sowie Mittel-/Ostdeutschland). Diese Kalender basieren auf Flugdaten von 16 Pollentypen aus den Jahren 2000 bis 2007. Daneben gibt es einen 1981 publizierten und inzwischen vergriffenen "Pollenkalender" von Dr. Erika Stix, die in der Zeit von 1965- bis 1976 an neun verschiedenen Biotopen (Küste bzw. Insel, Bergwald, Bergweide bzw. -wiese Heide, Wiese, Landwirtschaft, Stadtzentrum und Stadtrand, Industriegebiet) in der ehemaligen BRD das gesamte Pollenspektrum gemessen und darüber Säulen- und Kurvendiagramme erstellt hat. An den einzelnen Messstellen wurde maximal sieben Jahre gemessen.
Trittbrettfahrer in der Pollenflugvorhersage
Neben den datengestützten Pollenflugvorhersagen des DWD bieten etliche pharmazeutische Firmen und online-Wetterdienste sowie einige Kliniken auf ihren homepages und über newsletters ihre Pollenfluginfos an, wobei nicht immer klar ist, aus welchen Quellen sie schöpfen. Nach meinen Recherchen wird nur in wenigen Fällen mit einer eigenen bzw. vom PID gestellten Pollenfalle gemessen. Und da bislang in der Regel kein Zugang zu den Daten aus dem Netz des PID besteht, müssen sich diese Anbieter mit den im Netz zugänglichen Blüh- und Pollenflugkalendern begnügen. - eine ungenügende Grundlage, wenn es um aktuelle Pollenflugvorhesagen geht.
Seit einigen Jahren werden "Wetterstationen" angeboten - Geräte, welche nicht nur das Wetter für die Region vorhersagen, sondern für drei Tage auch den Pollenflug. Meines Wissens hat dieser Service keinen Zugang zu aktuellen Pollendaten. Auch phänologische Beobachtungen zu den Blühzeiten werden offenbar nicht angestellt. Das zeigt sich an entsprechenden newsletters, in denen zum Teil vor Pollen gewarnt wird, die noch gar nicht aus regionalen Quellen stammen können. Zwar können Pollen über weite Strecken transportiert werden (Ferntransport), die gemessenen Konzentrationen reichen aber nur in Ausnahmefällen für die Auslösung einer Symptomatik aus. Kurzum: die Verlässlichkeit der Pollenflugvorhersage über die oben genannten Wetterstationen muss in Frage gestellt werden.
Stand: Dezmeber 2017
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